Schon 1850 war in Leipzig der erste deutsche Arbeiterturnverein
gegründet worden. Allerdings war er wenige Wochen später wieder
verboten worden. Nach dem Fall der Sozialistengesetze 1890 entstand noch im
gleichen Jahr als erste sich der Körperertüchtigung der Arbeiter
widmende Vereinigung der Verband Volksgesundheit.
Am 26.06.1892 gründeten der TV Fichte Berlin, der MTV Brandenburg und
der MTV Velten in Brandenburg den Märkischen Arbeiter-Turnerbund. Auf
dem ersten Turntag am 18.09.1892 in Berlin wurde der Beschluss zur
Gründung eines Deutschen Arbeiter-Turnerbundes gefasst. Am 22.05.1893
war es dann soweit. In Gera versammelten sich 39 Delegierte (19 aus
Thüringen und Reuß, 10 aus Preußen, 8 aus Sachsen und 2
Hamburg), die 51 Vereine mit 3.556 Mitgliedern vertraten, zu einem ersten
Bundestag und gründeten den Deutschen Arbeiter-Turnerbund.
Man knüpfte bei der Gründung an die freiheitlichen Ideen der Turner
von 1848 an, da sich die Deutsche Turnerschaft (DT) seit Mitte der 1860er
Jahre zum Wortführer nationalistischer Ideen gewandelt hatte und ins
reaktionäre Lager abgeschwenkt war. 1897 gab sich der Bund nach dem
Übertritt österreichischer Vereine dann den Namen
Arbeiter-Turnerbund (ATB). Schon beim Bundestag 1899 traten erstmals
Differenzen auf, da die Österreicher einen eigenen Bund forderten.
Doch erst nach der Abspaltung des 16. Kreises als Verband der
tschecho-slawischen Arbeiter-Turnvereine zum 01.01.1908 trennten sich mit
Wirkung zum 01.01.1910 auch die österreichischen Vereine der damaligen Kreise 8,
12 und 18 als Deutsch-Österreichischer Arbeiter-Turnerbund vom ATB ab.
Von Anfang an gab es heftige und polemische Auseinandersetzungen zwischen
ATB und DT, die um die Jahrhundertwende mit rund 100.000 Arbeitern mehr als
doppelt so viele Mitglieder wie der ATB hatte.
Probleme gab es auch wegen des §17 des Reichsvereinsgesetzes (Verbot
der Mitgliedschaft von unter 18jährigen in politischen Vereinen),
welches bis zum Beginn des 1. Weltkrieges von der Obrigkeit schikanös
gegen den ATB ausgelegt wurde. Und das, obwohl es bis zum 1. Weltkrieg
keine enge Zusammenarbeit mit der SPD gab. Allerdings war die
Überwindung des sozialen Elends der Arbeiter schon ein wesentliches
Ziel des ATB. In diesen Konsens ist auch die anfängliche Ablehnung
jeglicher Form des Preis- und Wettturnens zu sehen. Diese schon immer
vorhandenen Bestrebungen nach Wettkämpfen, Sport und Spiel wurden nach
dem 1. Weltkrieg allerdings so stark, dass der Bundestag 1919 in Leipzig
beschloss, der Entfaltung von Sport und Spiel freien Raum zu lassen.
Während der Kriegsjahre waren die Beschränkungen für den ATB
langsam gelockert worden, bis endlich 1917 auch die ATB-Vereine aus
öffentlichen Mitteln unterstützt wurden. Eine
vormilitärische Ausbildung wurde vom ATB im Gegensatz zu den
bürgerlichen Sportverbänden aber nicht durchgeführt.
Mit der Novemberrevolution 1918 fielen auch für den ATB die letzten
Behinderungen weg. Zu Beginn der Weimarer Republik wurde der Hauptfeind in
der DT und den bürgerlichen Vereinen gesehen. Deshalb wurde auch das
Angebot des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen (DRA)
zur Zusammenarbeit abgelehnt.
Nachdem schon ab 1912 Leichtathletik- und Fußballabteilungen
aufgenommen worden waren, erfolgte auf dem Bundestag 1919 in Leipzig die
offizielle Anerkennung des Sports neben dem Turnen. Der ATB wurde am
09.06.1919 in Arbeiter-Turn-und Sportbund (ATSB) - Zentralverband
für Turnen, Gymnastik, Leichtathletik, Fußball, Handball, Wassersport und
Wintersport - umbenannt.
Am 25.04.1933 besetzte die SA die ATSB-Bundesschule Leipzig und schloss den
dort ansässigen Arbeiter-Turnverlag. Das offizielle Verbot und die
Auflösung der Bundeszentrale erfolgten erst am 28.04.1933 durch das
sächsische Innenministerium. Das Vermögen wurde auf Grund der
„Verordnung des Reichskommissars für Sachsen über die
Beschlagnahme des Vermögens aufgelöster marxistischer Vereine und
über polizeiliche Zwangsverwaltung” am 03.05.1933 beschlagnahmt.
Bald darauf folgten auch die Verbote in den anderen deutschen Ländern.
Schon während der Novemberrevolution 1918 begannen die Auseinandersetzungen mit den kommunistisch orientierten Mitgliedern vor allem im 1. Kreis Berlin-Brandenburg, die letztlich 1930 zur Spaltung der Arbeitersportbewegung führten. Im Folgenden die Chronologie der Ereignisse:
03.11.1918: TV Fichte Berlin fordert Konsequenzen aus der politischen Lage
zu ziehen
22.11.1918: Bundesvorstand empfiehlt, die turnerischen Interessen in den
Vordergrund zu schieben und Politik den Parteien zu überlassen
20.02.1919: TV Fichte erklärt nur noch USPD- oder KPD-Mitglieder in den
Vorstand wählen zu wollen
01.03.1919: Unter Androhung des Ausschlusses fordert der Bundesvorstand von
den Vereinen politische Neutralität innerhalb der sozialistischen
Arbeiterbewegung
24.03.1919: Generalversammlung des TV Fichte: Die bundesvorstandstreuen
Mitglieder treten aus und bilden die Freie Turnerschaft Berlin
Juni 1919: konnte der Bundestag die Spaltung verhindern, da auch der TV
Fichte einlenkte. Es wurde der Beschluss vom 01.03.1919 weitestgehend
bestätigt
14.09.1924: Beschluss des Büros der Luzerner Sportinternationalen
(LSI): keine Zusammenarbeit mit der kommunistischen Roten
Sportinternationalen (RSI). Daraufhin sollte Lieske (Funktionär des TV
Fichte und Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses der RSI)
ausgeschlossen werden.
21.12.1924: Da sich der TV Fichte widersetzte, folgte der Beschluss, dass
ATSB-Mitglieder keine Funktion in der RSI übernehmen dürfen. Der
TV Fichte wurde ausgeschlossen.
30.12.1924: Lieske tritt aus dem TV Fichte aus, der daraufhin wieder
aufgenommen werden konnte.
04.01.1925: Die Beschlüsse des ATSB werden durch die Dachorganisation
Zentralkommission für Arbeitersport und Körperkultur (ZK)
übernommen.
24.07.1925: Die Arbeiter-Olympiade wird vom 1. Kreis boykottiert, weil nur
LSI-Mitglieder teilnehmen durften.
03.08.1926: Deutsch-russisches Sportabkommen entspannt vorrübergehend
die Lage. Nach sowjetischen Provokationen werden weitere
„Russen-Spiele” (Fußball) untersagt.
23.06.1928: Auf dem 16. Bundestag wird der Ausschluss
organisationsschädigender Mitglieder beschlossen.
02.08.1928: Bundesvorstand schließt erste 10 Mitglieder aus
29.05.1929: Gründung der „Interessengemeinschaft (IG) zur
Wiederherstellung der Einheit im Arbeitersport” durch die
Ausgeschlossenen
Nov. 1929: 32.000 Mitglieder waren bisher ausgeschlossen worden
Ende 1930: Ausschluss von mittlerweile 34.000 kommunistischen Mitgliedern
Der ATB gliederte sich in anfangs in 12 Kreise. 1930 gliederte sich der ATSB dann wie folgt in 19 Kreise:
1. Kreis (Brandenburg, Berlin), Sitz Berlin
Bezirke: 1. Berlin-Ost, 2. Berlin-Nord, 3. Berlin-West, 4. Berlin-Süd
2. Kreis (Provinz Sachsen, Anhalt, Braunschweig), Sitz Bernburg
Bezirke: 1. Halberstadt, 2. Magdeburg, 3. Dessau, 4. Aschersleben, 5.
Braunschweig, 6. Halle, 7. Eisleben, 8. Bitterfeld
3. Kreis (Hamburg, Lübeck, Schleswig-Holstein, Mecklenburg), Sitz
Hamburg
Bezirke: 1. Hamburg, 2. Kiel, 3. Lübeck, 4. Mecklenburg
4. Kreis (Sachsen), Sitz Dresden
Bezirke: 1. Leipzig, 2. Dresden, 3. Chemnitz, 4. Löbau-Bautzen, 5.
Mittweida, 6. Zwickau, 7. Schwarzenberg, 8. Plauen, 9. Freital, 10. Pirna,
11. Riesa, 12. Zittau, 13. Limbach, 14. Burgstädt, 15. Zschopau
5. Kreis (Thüringen), Sitz Jena
Bezirke: 1. Gera, 2. Erfurt, 3. Nordhausen, 4. Zeitz, 5. Altenburg, 6.
Gotha, 7. Gefell, 8. Pößneck, 9. Bad Salzungen, 10. Weimar, 11.
Langewiesen
6. Kreis (Rheinland-Westfalen), Sitz Köln
Bezirke: 1. Köln, 2. Solingen, 3. Velbert, 4. Hagen, 5. Dortmund, 6.
Essen, 7. Düsseldorf, 8. Krefeld, 9. Aachen, 10. Hamm, 11. Annen, 12.
Bochum, 13. Gelsenkirchen, 14. Koblenz
7. Kreis (Nordbayern), Sitz Nürnberg
Bezirke: 1. Nürnberg, 2. Regensburg, 3. Hof, 4. Schweinfurt, 5.
Stockheim, 6. Weiden, 7. Koburg, 8. Bayreuth, 9. Marktredwitz, 10.
Ingolstadt
8. Kreis (Württemberg), Sitz Stuttgart
Bezirke: 1. Stuttgart, 2. Göppingen, 3. Heilbronn, 4. Schwenningen, 5.
Reutlingen, 6. Cannstatt, 7. Kornwestheim, 8. Esslingen
9. Kreis (Hessen), Sitz Frankfurt
Bezirke: 1. Darmstadt, 2. Frankfurt, 3. Wiesbaden, 4. Dornheim
„Wetterau”, 5. Erlenbach (Odenwald)
10. Kreis (Baden, Pfalz), Sitz Mannheim
Bezirke: 1. Lörrach, 2. Speyer am Rhein, 3. Karlsruhe, 4. Mannheim, 5.
Freiburg, 6. Zweibrücken, 7. Weinheim
11. Kreis (Nordwestdeutschland, Bremen, Oldenburg, Hannover), Sitz Bremen
Bezirke: 1. Wilhelmshaven, 2. Bremen, 3. Hannover, 4. Bielefeld, 5.
Bremerhaven, 6. Osnabrück, 7. Minden in Westfalen, 8. Hildesheim
12. Kreis (Ost- und Westpreußen), Sitz Königsberg
Bezirke: 1. Königsberg (heute russisch Kaliningrad), 2. Elbing (heute
polnisch Elbląg), 3. Danzig (polnisch Gdańsk)
13. Kreis (Hessen-Nassau), Sitz Kassel
Bezirke: 1. Kassel, 2. Hannover-Münden, 3. Besse, 4. Harleshausen, 5.
Oberkaufungen, 6. Eschwege, 7. Immenhausen bei Kassel, 8. Elgershausen, 9.
Niederzwehren, 10. Göttingen
14. Kreis (Schlesien), Sitz Breslau
Bezirke: 1. Breslau (polnisch Wrocław), 2. Görlitz, 3.
Gleiwitz-Hindenburg (polnisch Gliwice, Zabrze), 4. Waldenburg (polnisch
Wałbrzych), 5. Oppeln (polnisch Opole), 6. Liegnitz (polnisch
Legnica), 7. Glatz (polnisch Kłodzko), 8. Glogau-Sagan (polnisch
Głogów, Zagan), 9. Landeshut (polnisch Kamienna Góra)
15. Kreis (Pommern), Sitz Stettin
Bezirke: 1. Stralsund, 2. Stettin (polnisch Szczeciń), 3. Köslin
(polnisch Koszalin), 4. Swinemünde (polnisch Świnoujście)
16. Kreis (Lausitz), Sitz Forst
Bezirke: 1. Cottbus, 2. Forst, 3. Finsterwalde, 4. Landsberg (polnisch
Gorzów Śląśki)
17. Kreis (Niederösterreich, Steiermark, Burgenland), Sitz Wien
Bezirke: 1. Wien, 2. Mödling, 3. Wiener Neustadt, 4. St. Pölten,
5. Stockerau, 6. Waldviertel, 7. Mürztal, 8. Graz
18. Kreis (Oberösterreich, Salzburg, Tirol), Sitz Linz
Bezirke: 1. Linz, 2. Salzburg, 3. Steyr, 4. Gmunden, 5. Innsbruck
19. Kreis (Südbayern), Sitz München
Bezirke: 1. München, 2. Augsburg, 3. Starnberg, 4. Rosenheim
1. Bundesfest am 23./24.07.1922 in Leipzig
2. Bundesfest vom 18.-21.07.1929 in Nürnberg
18 Bundestage von 1893 in Gera bis 1932 in Leipzig
1894 | 9.112 |
1900 | 37.000 |
1914 | 187.000 |
1918 | 42.000 |
1919 | 188.500 |
1920 | 448.000 |
1926 | 653.000 in 6.399 Vereinen |
1928 | 830.000 in 6.818 Vereinen |
1929 | 738.048 in 6.886 Vereinen |
1930 | 721.222 in 7.018 Vereinen |
1932 | 742.000 in 7.161 Vereinen |
22.05.1893 - 02.06.1903 | Moritz Fromm (Leipzig) |
02.06.1903 - 12.06.1905 | Emil Maurer (Gera) |
12.06.1905 - 11.01.1909 | Karl Frey (Leipzig) |
31.05.1909 - 30.03.1919 🕆 | Karl Harnisch (Leipzig) |
31.03. - 08.06.1919 | --- |
09.06.1919 - 28.04.1933 | Cornelius Gellert (Leipzig) |
Letzte Änderung: 30.08.2018